Sektorrisiken

Diskriminierung, sexuelle Belästigung und geschlechtsspezifische Gewalt

Über das Sektorrisiko

Das ILO-Übereinkommen 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf definiert Diskriminierung als „jede Unterscheidung, Ausschließung oder Bevorzugung, die auf Grund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, des Glaubensbekenntnisses, der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft vorgenommen wird und die dazu führt, die Gleichheit der Gelegenheiten oder der Behandlung in Beschäftigung oder Beruf aufzuheben oder zu beeinträchtigen.“ Diskriminierende Praktiken am Arbeitsplatz stehen zumeist im Zusammenhang mit Lohn, Arbeitsschutz, Arbeitszeit oder auch dem Recht auf Vereinigungsfreiheit. Beispielsweise kommt es vor, dass schwangere Beschäftigte Kurzzeitverträge erhalten, die beendet werden, bevor sie nach örtlichem Recht Anspruch auf Mutterschaftsleistungen haben.

In der Textilproduktion machen Frauen schätzungsweise 70 Prozent der 60 Millionen Beschäftigten aus. Auch in den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette, zum Beispiel in der Baumwollproduktion, arbeiten viele Frauen. Arbeiterinnen in der Textilindustrie sind häufig geschlechtsspezifischer Gewalt (Gender-based violence and harassment, GBVH) ausgesetzt, werden belästigt und diskriminiert. Betroffen sind insbesondere Frauen, die in schlecht bezahlten Positionen arbeiten, wenig Entscheidungskompetenz haben und sich daher häufig in Abhängigkeitsbeziehungen zu männlichen Vorgesetzten befinden. Gefährdet sind darüber hinaus Wanderarbeiter*innen, informell Beschäftigte oder Menschen mit Behinderung. Je nach Land und Kontext werden Arbeiter*innen zudem vor allem aufgrund ihrer ethnischen, religiösen oder auch Kastenzugehörigkeit diskriminiert.

Oft zeigen Frauen Fälle von sexueller Belästigung aus Angst oder Scham nicht an, sodass ihre Erfassung erschwert wird. Die Covid-19-Krise hat die geschlechtsspezifischen Risiken in der Textilproduktion weiter verschärft. Frauen sind seit dem Ausbruch der Pandemie sowohl zuhause als auch am Arbeitsplatz vermehrt geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Die OECD-Sektorhandreichung fordert: „Das Unternehmen ist gehalten, eine Null-Toleranz-Strategie gegen sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt zu verfolgen und strenge Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung in seinen eigenen Geschäftstätigkeiten einzuführen.“

Wie bei den anderen Sektorrisiken auch sind Beschwerdemechanismen auf Betriebsebene ein wichtiger Teil der Lösung. Sie erlauben es Arbeitskräften, Belästigung, Gewalt oder Androhungen von Gewalt zu melden, und zwar 1) ohne Angst vor Repressalien oder Kritik, 2) bei Kontaktstellen außerhalb des Unternehmens und gewerkschaftlicher Vertretungen sowie 3) anonym und vertraulich.

Soziale Bündnisziele und -standards

Das Textilbündnis hat soziale Bündnisziele formuliert, die alle Mitglieder durch den Beitritt ins Bündnis anerkennen. Diese Ziele orientieren sich an internationalen Sozialstandards, insbesondere an den ILO-Übereinkommen, den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen. In Bezug auf Diskriminierung, Belästigung und Misshandlung lautet das Ziel wie folgt:

„Beschäftigte sind mit Respekt und Würde zu behandeln. Kein*e Beschäftigte*r darf Opfer von erniedrigender oder körperlicher Bestrafung, oder Opfer physischer, sexueller, psychischer oder verbaler Bedrohung oder Misshandlung werden. Unternehmen dürfen ein solches Verhalten nicht tolerieren. Davon ausgenommen sind rechtlich zulässige disziplinarische Maßnahmen. Unternehmen müssen diese rechtlich begründeten Disziplinarverfahren und etwaige Disziplinarmaßnahmen einschließlich Anlass und Begründung dokumentieren und diese in klarer und verständlicher Weise ihren Beschäftigten erklären.

Jede Form der unrechtmäßigen Ungleichbehandlung von Beschäftigten auf Grund des Geschlechts, Alters, Religion, Familienstands, Kaste, sozialen Hintergrunds, Krankheit, Behinderung, Schwangerschaft, ethnischer oder nationaler Herkunft, Nationalität, politischer Anschauung, oder sexueller Identität ist untersagt. Unternehmen dürfen diskriminierendes Verhalten weder unterstützen noch tolerieren.

Was macht das Bündnis zu dem Thema?

2020 war geschlechtsspezifische Gewalt das Jahresthema im Textilbündnis und stand als solches besonders im Fokus. Mitglieder verschiedener Akteursgruppen bildeten eine Expert*innen-Gruppe (EG), um sich auszutauschen und gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln. In Online-Seminaren wurden zum Beispiel geschlechtsspezifische Auswirkungen der COVID-19-Krise, geschlechtsspezifische Beschwerdekomitees sowie die Herausforderungen eines Gender Data Gaps in globalen Textil-Lieferketten diskutiert.

Der Leitfaden „Due Diligence, Social Audits and Gender-Based Violence and Harassment“  zeigt Herausforderungen auf, geschlechtsspezifischer Gewalt in Sozialaudits zu identifizieren. Daran anknüpfend gibt er Hinweise, wie Audits gender-sensiblen gestaltet und durchgeführt werden können. Mitglieder des Textilbündnisses, der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN) und der Global Organic Textile Standard (GOTS) entwickelten den Leitfaden in einem gemeinsamen Projekt. In einem zweiten Schritt sollen gender-sensible Sozialaudits in der Praxis pilotiert werden.

Diskriminierung, sexuelle Belästigung & geschlechtsspezifische Gewalt zählen zu den elf Sektorrisiken, die von den Bündnisunternehmen im Review-Prozess in den Blick genommen werden. Basierend auf der Analyse und Priorisierung des Risikos definieren Unternehmen Ziele und Maßnahmen, um ihre schwerwiegendsten Risiken anzugehen. Bei der Risikoanalyse sollen Unternehmen auch prüfen, in welchem Ausmaß sexuelle Belästigung und sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt in den Ländern existiert, in denen sie agieren oder aus denen sie beschaffen. Um die Bündnismitglieder im Review-Prozess zu unterstützen, hat das Bündnissekretariat länderspezifische Factsheets zu geschlechtsspezifischer Gewalt erstellt.

Leitfaden: Inklusion in textilen Lieferketten

Ein Leitfaden für Textilunternehmen zum Thema Inklusion von Menschen mit Behinderung im Textilsektor ist im Januar 2022 erschienen. Hier gelangen Sie zum Aktuelles-Beitrag: