Die Neuausrichtung geht in die Umsetzung!
Zur 10. Mitgliederversammlung des Bündnisses für nachhaltige Textilien kamen rund 125 Teilnehmende nach Berlin. In Vorträgen, Workshops und Arbeitsgruppen diskutierten sie angeregt und legten weitere wichtige Weichen zur Umsetzung der strategischen Neuausrichtung. Ein Höhepunkt war der Austausch mit Vertreter*innen von Rechteinhaber*innen aus Bangladesch.
Die Leiterin des Textilbündnisses Linda Schraml eröffnete die Versammlung mit einem Blick auf die Bedeutung der strategischen Neuausrichtung:
„Die Welt hat sich seit der Gründung des Textilbündnis vor knapp zehn Jahren weitergedreht. Auch im regulativen Umfeld brachte dies Veränderungen mit sich. Um diesen Rechnung zu tragen, haben wir Ende 2022 eine strategische Neuausrichtung beschlossen und 2023 mit der Umsetzung begonnen. Es wurden neue Anforderungen an die Bündnismitglieder gestellt, z.B. zur erweiterten Transparenz in der Lieferkette. Die Umsetzung der Fokusthemen entlang der Lieferkette gewinnt immer mehr an Bedeutung. Besonders stolz sind wir dabei auf die zehn von aktuell elf Bündnisinitiativen, die im Jahr 2023 entwickelt wurden und an denen sich die Mitglieder zu den verschiedensten Themen aktiv beteiligen.“
In einer Q&A-Session mit dem neuen Steuerungskreis – vertreten durch Claudia Kersten, Berndt Hinzmann, Anna Ruechardt, sowie Anja Hanslik, Luise Scheuber und Moritz Blanke und in den anschließenden Austauschrunden ginge es u.a. um die Key Performance Indikatoren, die Gesetzgebungen und ein Stimmungsbild innerhalb der Akteursgruppen.
Gemeinsam mehr vor Ort erreichen
Dr. Bärbel Kofler, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), stellte in ihrem Beitrag das Textilbündnis als Vorreiter gegenüber anderen Branchen und als Wegbereiter von gesetzlichen Richtlinien heraus:
„In der Vergangenheit wurde die Textilindustrie oft als Sorgenkind betrachtet. Doch heute ist sie in vielen Fällen ein Vorbild für andere Branchen. Sie haben schon vor dem Gesetz gezeigt, wie Compliance und unternehmerische Sorgfaltspflicht in der Praxis funktioniert. Sie haben schon vor Jahren umgesetzt, was das deutsche Lieferkettengesetz jetzt fordert. Wahrscheinlich werden wir bald auch ein europäisches Lieferkettengesetz haben. Das ist ein großer Erfolg.
In diesem Kontext betonte Kofler die Notwendigkeit des EU-Lieferkettengesetzes und die Bedeutung des Multi-Stakeholder-Charakters des Bündnisses:
Als größter Binnenmarkt der Welt braucht die EU einheitliche Regeln, um Menschenrechtsverletzungen aus den Lieferketten zu verbannen.“ […] Das EU-Lieferkettengesetz bietet Unternehmen dahingehend eine wichtige Unterstützung bei der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen. Zum Beispiel durch die Förderung gemeinsamer Risikoanalysen und Abhilfemaßnahmen der Partnerschaftsmitglieder. Die europäische Richtlinie wird daher die Rolle von Multi-Stakeholder-Partnerschaften weiter stärken. Denn nur wenn wir auf echte Partnerschaften aufbauen, die auf Respekt und Gegenseitigkeit beruhen, werden wir eine nachhaltige und sozial gerechte Textilindustrie erreichen.
Die Staatssekretärin unterstrich, wie wichtig es sei, in den Produktionsländern lokale Strukturen aufzubauen und Rechteinhaber*innen noch stärker und noch systematischer in die Bündnisarbeit einzubeziehen.
Mit Rechteinhaber*innen reden, nicht über sie
Den Appell von Kofler aufgreifend, verfolgten die Mitglieder gebannt den Austausch mit den beiden Rechteinhaber*innen Tithi Afrin, Programmkoordinatorin in der National Garment Workers Federation (NGWF) und Shahinur Rahman, Berater für FEMNET, GoodWeave International und Mondiaal FNV.
Als Programmkoordinatorin einer Arbeitnehmerrechtsorganisation in Bangladesch betonte Tithi Afrin, wie wichtig bessere Arbeitsbedingungen, die Zahlung existenzsichernder Löhne und Vereinigungsfreiheit seien. In diesem Kontext stellte sie das EIS (Employment Injury Scheme)-Programm in Bangladesch vor. Dieses bildet ein finanzielles Auffangnetz für Textilarbeiter*innen in Bangladesch im Fall einer Arbeitsverletzung. Für das EIS erhofft sich Afrin, dass dieses langfristig Bestand haben wird und künftig für alle Textilarbeiter*innen zugänglich sein wird.
Rahman versuchte wiederum für die erheblichen Unterschiede in den Machtverhältnissen zwischen den Textilarbeiter*innen und ihren Betrieben, aber auch zwischen den Zulieferbetrieben und den Brands zu sensibilisieren. In diesem Zusammenhang appellierte er an die Brands, ihre Position zu nutzen um sich gegenüber und innerhalb von Industrieverbänden stärker für Rechteinhaber*innen einzusetzen.
Beide hoben die Notwendigkeit von legitimen und echten Gewerkschaften und den direkten Kontakt zu Repräsentant*innen dieser hervor. Afrin und Rahman appellierten an die Mitglieder, dass die Brands proaktiv auf Arbeiter*innenvertretungen zugehen und ihre Legitimität überprüfen müssen, um ein authentisches Bild der Arbeitssituation und der Interessen und Wünsche der Textilarbeiter*innen aus den Produktionsstätten bekommen zu können.
Der Nachmittag des zweiten Tages stand entsprechend ganz im Lichte der vertieften, gemeinsamen Arbeit zu den vier Fokusthemen, dem EIS Bangladesch, dem Empowerment von Rechteinhaber*innen, Faser-zu-Faser-Recycling und vielen anderen Themen, die in verschiedenen Round Tables und Workshops aufgegriffen wurden.