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Die Rechte von Geflüchteten im Textilsektor stärken

Aktuelles
04.04.2024

Die Rechte von Geflüchteten im Textilsektor stärken

Die Mitglieder der Bündnisinitiative (BI) „Access to Remedy for  (Refugee) Workers“ konnten sich bei einer Reise in die Türkei im März 2024 selbst von der Arbeit überzeugen, die der Projektpartner MUDEM vor Ort leistet. Gemeinsam setzen sie sich in dem Projekt dafür ein, den Zugang zu effektiven Beschwerdemechanismen sowie wirksame Abhilfe und Wiedergutmachung für (geflüchtete) Arbeiter*innen zu fördern, um die Arbeitsbedingungen in der türkischen Textilindustrie nachhaltig zu verbessern.   

Neben der Möglichkeit, das Projekt und dessen Implementierung vor Ort noch besser kennenzulernen, war es Ziel der Reise, noch stärkere Sichtbarkeit für das Thema Zugang zu Abhilfe zu schaffen und die langfristige Perspektive der Kooperation gemeinsam zu beleuchten. Dazu absolvierte die Reisegruppe, die aus Vertreter*innen der teilnehmenden Brands Adidas, Puma, Primark, Jefferys, C&A und NKD, MUDEM, dem BMZ, der GIZ Türkei sowie dem Bündnissekretariat bestand, in drei Tagen ein Programm, das den Multi-Stakeholder-Charakter des Bündnisses für nachhaltige Textilien widerspiegelte und sowohl politische und wirtschaftliche als auch zivilgesellschaftliche Akteure mit einband.  

Akteursgruppenübergreifende Zusammenarbeit ist essenziell 

Dies zeigte sich bei einem der Höhepunkte der Reise, einem Roundtable mit zahlreichen lokalen und internationalen NGOs. Das Treffen stand ganz im Zeichen des Austauschs und legte einen besonderen Fokus aus das Thema Abhilfe.  Projektpartner MUDEM, eine türkische NGO, die sich für die Stärkung der Rechte Geflüchteter einsetzt, stellte sein Workers Support Center (WSC) vor und sensibilisierte die Teilnehmenden zur Situation von Geflüchteten in Textillieferketten. Das WSC ist eine digitale Anlaufstelle, die von MUDEM ins Leben gerufen wurde und über die Arbeiter*innen in der Textilproduktion Unterstützung bei Problemen am Arbeitsplatz anfordern können. Auch Primark gab beim NGO-Roundtable einen Input, um aus der Perspektive einer Brand aufzuzeigen, wie Abhilfe und Wiedergutmachung aussehen kann und welche Rolle Brands hier einnehmen (können). Beide Vorträge dienten als Grundlage für eine anschließende Gruppenarbeit. Vertreter*innen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik haben dabei  diskutiert, wie gute Abhilfe in verschiedenen Kontexten, speziell für vulnerable Gruppen, aussehen kann, welche Rolle hier den verschiedenen Akteursgruppen zugeschrieben wird und welche Schnittstellen noch besser genutzt werden können. Dabei beschäftigten sich die drei Gruppen jeweils mit den Themen, zu denen bei Mudem am häufigsten Beschwerden eingehen: Arbeitserlaubnis, Löhne und Missbrauch am Arbeitsplatz. Die Ergebnisse der Gruppendiskussionen wiesentrotz der unterschiedlichen Themenbereiche, Überschneidungen auf: Die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteursgruppen ist essenziell und sollte im Sinne der Rechteinhabenden weiter intensiviert werden. Denn nur der gemeinsame Einsatz ermöglicht es,  die Situation für alle Arbeiter*innen, vor allem für vulnerable Gruppen, in der Textilproduktion in der Türkei weiter zu verbessern.  

Auf dem Programm standen außerdem spannende und anregende Treffen mit weiteren relevanten Institutionen, wie dem Deutschen Generalkonsulat in Istanbul.  Der stellvertretende Generalkonsul Martin Graf nahm die Projektgruppe dort in Empfang und berichtete unter anderem von den Aktivitäten des Konsulats an der Schnittstelle zwischen Menschenrechten und Wirtschaft. Daran schloss sich ein tiefergehender Austausch zwischen den Brands, dem Bündnis und Martin Graf an, der verschiedene Themen rund um unternehmerische Sorgfaltspflichten, künftige Lieferkettengesetzgebungen und Einbindung verschiedener Akteure wie NGOs oder Gewerkschaften anschnitt. Die Projektgruppe freute sich über das große Interesse seitens des Konsulats an dem Thema. Daneben stand ein Besuch bei der türkischen Wirtschaftsvereinigung Türkonfed an, die aktuell den Responsible Business Helpdesk (RBH) für die Türkei einrichtet. Ziel des RBH ist die Sensibilisierung und Beratung von produzierenden Unternehmen über Standards und Anforderungen im Bereich Sorgfaltspflichten.  

Das Workers Support Center in der Praxis 

Im Sinne der engen Zusammenarbeit mit den Zulieferbetrieben der teilnehmenden Unternehmen besuchte die Gruppe am zweiten Tag der Reise Zulieferer von Primark, Puma und NKD. Dies ermöglichte einen intensiven Austausch mit dem jeweiligen Management der Fabriken sowie einen Einblick in die Produktionsbedingungen vor Ort. Bei den besuchten Zulieferbetrieben Detay Textil und Türkmenler Socks ist das Workers Support Center bereits  etabliert und als Zugang zu Abhilfe für Arbeiter*innen integriert. Die Mitglieder der Bündnisinitiative hatten zu Beginn der Projektlaufzeit ihre Supplier nominiert und konnten sich nun in der Praxis anschauen, wie der Beschwerdekanal des Workers Support Centers von Mudem in den Fabriken verankert ist.  

Den Abschluss und einen weiteren Höhepunkt der Reise stellte ein Workshop zur langfristigen Finanzierung des Projekts dar. Neben den Mitgliedern der Bündnisinitiative hatte MUDEM weitere Unternehmen dazu eingeladen, darunter Lindex, Mango, H&M, Varner, Marks & Spencer und Inditex. Ziel des Treffens war der Ausblick auf eine langfristige eigenfinanzierte Perspektive des Projekts: Das Textilbündnis unterstützt das Workers Support Center seit 2021 und bis Ende 2024 mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Doch um langfristig Stabilität und Weitblick des Projekts zu erreichen, ist eine nachhaltige Lösung notwendig, die unabhängig von an Projektlaufzeiten gebundene Finanzierungen ist. Das langfristige Ziel von derlei Pilotierungsprojekten ist es demnach, diese in lokale und eigenfinanzierte Strukturen zu überführen. Die Brands haben daher bereits im Workshop großes Interesse daran bekundet, das Projekt nach Ende der Projektlaufzeit selbstständig weiter zu finanzieren. Das Bündnissekretariat unterstützt diese Entwicklung ausdrücklich.  

Am Ende der dreitägigen Reise zeigten sich die Teilnehmenden der Reise zufrieden. Thomas Ahlers, Vertreter des Unternehmens Primark, ist auch bezüglich der Fortführung des Worker Support Centers optimistisch:   

“Die Unterstützung von geeigneten, unabhängigen und branchenweiten Beschwerdemechanismen ist fester Bestandteil unseres “access to remedy”-Ansatzes. Wir arbeiten bereits seit mehreren Jahren mit Mudem und dem Worker Support Center zusammen. Die Reise nach Istanbul und die Treffen mit der Gruppe, aber auch darüber hinaus mit weiteren Brands und NGOs, waren sehr offen und transparent. Ich bin der Meinung, dass die richtigen Weichen für die Fortführung des Worker Support Centers gestellt sind.”  

Das Bündnissekretariat bedankt sich ausdrücklich bei allen mitgereisten Akteuren für die wertvollen Inputs und das große Engagement sowie bei den verschiedenen Gastgebern für gute Gespräche, anregende Einblicke, bereichernde Diskussionen sowie leckeren Cay, Kaffee und Baklava.  

 

 Zur Bündnisinitiative:  

In der Türkei sind besonders viele Geflüchtete, vor allem aus Syrien, in der textilen Lieferkette beschäftigt, teilweise auch informell. Diese stellen eine besonders vulnerable Gruppe dar, die teilweise von Mehrfachdiskriminierung (bspw. Status und Geschlecht) betroffen ist. Viele Betroffene sind der türkischen Sprache nicht mächtig und kennen ihre Rechte kaum bis gar nicht. Neben einem Bewusstsein für ihre Rechte benötigen diese Menschen einen niedrigschwelligen Kommunikationskanal, um auf Missstände am Arbeitsplatz aufmerksam machen zu können.​  

Hier setzt die BI an: Bei Fabrikbesuchen in der türkischen Textilindustrie werden Geflüchtete, aber auch Menschen aus der Aufnahmegesellschaft, für ihre Rechte sensibilisiert und die Nutzung von Beschwerdemechanismen gefördert. Die Besuche führt die türkische Partnerorganisation MUDEM durch, die das „Worker Support Center“ ins Leben gerufen hat. Das WSC ist eine digitale Anlaufstelle und ein Beschwerdemechanismus, über den Arbeitnehmer*innen Unterstützung bei Problemen am Arbeitsplatz anfordern können. Bei den Schulungen erhalten die Beschäftigten Informationen zum WSC, zu Arbeitsrecht, Arbeitnehmerrechten, Pflichten von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen sowie zu weiteren Beschwerdemechanismen. 

Die Bündnisinitiative findet statt im Rahmen des Bündnis für nachhaltige Textilien, gefördert durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und gemeinsam umgesetzt von Primark, C&A, NKD, Jefferys, IVY OAK, KiK, textilekonzepte, Adidas, Ceres, Puma und der GIZ.