Erfolgreicher Abschluss einer transformativen Zusammenarbeit
Im Oktober 2024 endete die zweite Phase der Bündnisinitiative Joint Grievance Mechanism mit Fair Wear und dem Bündnis für nachhaltige Textilien (BNT) und markierte damit den erfolgreichen Abschluss eines transformativen, mehrjährigen Umsetzungsprojekts. Ziel dieser zweiten Phase der Bündnisinitiative, die im Mai 2023 startete, war es, den Zugang zu Abhilfe für Arbeiter*innen in der Textil- und Bekleidungsindustrie auszuweiten und zu testen, wie machbar ein gemeinsamer Ansatz für den Ausbau zugänglicher Beschwerdemechanismen ist.
Aufbauend auf den Erkenntnissen aus der ersten Pilotphase, die sich auf Indien und Vietnam konzentrierte, wurden in der zweiten Phase die Bemühungen erheblich ausgeweitet und Bangladesch, die Türkei und Teile Osteuropas einbezogen. Während der 18-monatigen Laufzeit leistete das Projekt entscheidende Unterstützung für Arbeiter*innen und Brands und legte den Grundstein für zukünftige harmonisierte Lösungen zur Bewältigung systemischer Herausforderungen in der Branche.
Ausweitung der Kooperationen in der zweiten Phase
In der zweiten Phase arbeitete die Bündnisinitiative mit über 26 Fabriken in fünf Ländern zusammen, gemeinsam mit Brands wie Textilkontor Walter Seidensticker GmbH & Co. KG, textilhandel-cotton-n-more GmbH, Brands Fashion, Esprit und Karl Dieckhoff GmbH & Co. KG. Unterstützt wurde die Bündnisinitiative von dem zivilgesellschaftlichen Bündnis-Mitglied FEMNET e.V., das eine entscheidende Rolle bei der Interessenvertretung und der Einbeziehung der Arbeiter*innen spielte.
Der Fair Wear-Beschwerdemechanismus ermöglicht es Arbeiter*innen, Menschenrechtsverletzungen über vertrauenswürdige lokale Complaint Handler zu melden. Nach der Prüfung, ob die Beschwerde unter das Mandat von Fair Wear fällt, wird die Beschwerde an die Brand weitergeleitet, die sich anschließend an die betroffene Fabrik wendet. Die beteiligten Parteien arbeiten zusammen daran, das Problem zu adressieren und zu lösen, sowie Abhilfe für den/die betroffenen Arbeiter*innen zu schaffen. Der Mechanismus basiert auf dem Prinzip der gemeinsamen Verantwortung von Brand und Fabrik und nutzt die Einflussmöglichkeiten der Brands bei den Fabriken, um Abhilfe zu schaffen. Während des gesamten Prozesses schützt Fair Wear die Identität der Beschwerdeführer*innen und bindet gleichzeitig andere Interessengruppen wie rechtmäßige Vertreter*innen und Gewerkschaften ein oder unterstützt sie bei der Einleitung rechtlicher Schritte, falls erforderlich. Die Beschwerden werden in anonymisierter Form auf der Website von Fair Wear veröffentlicht. In den 26 Fabriken, die von den Brands nominiert wurden, hatten etwa 18.000 Arbeiter*innen Zugang zu Abhilfe über den Fair Wear-Beschwerdemechanismus, wobei 60 % von ihnen Frauen waren.
Ein weiterer Fokus lag auf der Zusammenarbeit zwischen den teilnehmenden Brands. Sie tauschten sich in Peer-to-Peer-Lernsitzungen über ihre Erfahrungen aus. Dies führte zu produktiven und offenen Diskussionen über bewährte Praktiken, Herausforderungen, Prioritäten und Lernerfahrungen zu Themen wie der Einbindung von Rechteinhaber*innen in Beschwerdeprozessen und der Unterstützung von Abhilfemaßnahmen, um Möglichkeiten für Verbesserungen und gegenseitige Unterstützung zu schaffen.
Bewusstsein schaffen ist entscheidend
Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Beschwerdemechanismen ist, dass die Arbeiter*innen ihre Rechte kennen. Um Vertrauen aufzubauen und zur aktiven Partizipation zu ermutigen, sind Besuche von Produktionsstätten, Kampagnen zur Bewusstseinsbildung und die Einbindung von lokalen Organisationen der Arbeiter*innen enorm wichtig. Das war ein besonderer Schwerpunkt in dieser zweiten Phase des Projektes. Fair Wear organisierte in 25 % der beteiligten Fabriken Training Sessions. Durch Besuche von Fabriken und Informationskampagnen wurden die Arbeiter*innen über ihre Rechte aufgeklärt und auf die Existenz des Fair Wear-Beschwerdemechanismus aufmerksam gemacht.
Darüber hinaus hat FEMNET mit dem Bündnis und Fair Wear zusammengearbeitet, um die Rechteinhaber*innen in Beschwerdeprozessen weiter zu stärken und zu unterstützen. Diese Maßnahmen verbessern sowohl die Zugänglichkeit als auch die Wirksamkeit vor Ort. Ein komplementäres Projekt von FEMNET wurde und wird derzeit in Indien erprobt, wo Cividep momentan zusätzliche Schulungen und Community-Outreach-Maßnahmen durchführt, um das Bewusstsein für Abhilfe zu schärfen und die Arbeiter*innen darin zu bestärken, Beschwerden vorzubringen. Im Laufe des Projekts ging eine Beschwerde ein. Die Zivilgesellschaft vor Ort hat darauf hingewiesen, dass weitere Sensibilisierung notwendig ist, um die Sichtbarkeit und das Wissen über Beschwerdemöglichkeiten für Arbeiter*innen zu erhöhen. Komplementarität ist hier der entscheidende Faktor, und genau das wurde in dieser Phase angestrebt, sowohl durch Schulungen in den Fabriken als auch durch das FEMNET-Programm, welches die Arbeiter*innen über ihre Rechte und den Zugang zu Beschwerdemechanismen informiert. Es ist gleichzeitig aber auch wichtig, dass die Fabriken die Vorteile von wirksamen Beschwerdemechanismen für sich erkennen. Informationen über das Projekt und den Mehrwert von Beschwerdemechanismen wurden zu Beginn des Projekts durch eine Reihe von regionalen und online-Onboarding Sessions für Zuliefererbetriebe zur Verfügung gestellt.
Vorteile für alle Stakeholder
Der gemeinsame Beschwerdemechanismus kam nicht nur den Arbeiter*innen zugute, sondern stand auch im Einklang mit den strategischen Prioritäten der BNT-Mitglieder-Unternehmen. Durch die Einhaltung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und der OECD-Guidelines half die Bündnisinitiative den teilnehmenden Textilbündnismitgliedern, die neuen Anforderungen an die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten gemäß der europäischen und nationalen Gesetzgebungen zu erfüllen. Darüber hinaus sind die teilnehmenden Brands motiviert, den Zugang zu Abhilfe auf koordinierte Weise zu ermöglichen, um Doppelarbeit zu vermeiden und die Zusammenarbeit untereinander zu fördern. Die teilnehmenden Unternehmen schätzten auch die Möglichkeit, sich mit anderen Unternehmen der Branche über die Umsetzung von Beschwerdemechanismen in ihren Lieferketten auszutauschen. Einige wiesen auf die Herausforderung hin, ihren Zulieferern den Wert von Beschwerdemechanismen zu vermitteln, während andere von positiven Rückmeldungen der Zuliefererbetriebe berichteten. Die Textilbündnismitglieder waren sich einig, dass die Einholung von Beiträgen der Arbeiter*innen nicht nur dazu dient, mehr über Probleme in den Lieferketten zu erfahren, sondern auch eine Möglichkeit ist, die eigenen Prozesse zu verbessern. Auch die Fabriken profitierten davon, da ein gut funktionierendes Beschwerdesystem ihren Ruf verbessert und die Beziehungen am Arbeitsplatz stärkt.
Gleichzeitig sammelten Fair Wear und das Bündnis wertvolle Erfahrungen bei der Erweiterung bestehender Beschwerdemechanismen zu einem gemeinsam nutzbaren System und bei der Harmonisierung von Ansätzen zwischen verschiedenen Interessengruppen, um die Kohärenz und Koordination bei der Bereitstellung eines wirksamen Zugangs zu Abhilfe zu fördern. Auf Branchenebene werden diese Erfahrungen wahrscheinlich künftige Bemühungen zur Schaffung kohärenterer und effizienterer Systeme für den Umgang mit Arbeitsrechtsverletzungen beeinflussen.
Wegbereiter für einen langfristigen Wandel zwischen Fair Wear und BNT
Der Abschluss dieser zweiten Phase unterstreicht die Stärke der Zusammenarbeit mehrerer Interessengruppen bei der Bewältigung komplexer Herausforderungen in globalen Lieferketten. Durch die Ausweitung eines gemeinsam zugänglichen Beschwerdemechanismus haben Fair Wear und das Bündnis einige neue Erkenntnisse gewonnen. Die Zusammenarbeit wurde von der Initiative Globale Solidarität (IGS) der GIZ finanziell unterstützt. Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse ist die Entscheidung von Fair Wear, ihren Beschwerdemechanismus langfristig für Bündnismitglieder zu öffnen. Ab 01. April 2025 werden die Bündnisunternehmen den Beschwerdemechanismus von Fair Wear auf selbstfinanzierter Basis nutzen können, was mehr Arbeiter*innen den Zugang zu einer vertrauenswürdigen Beschwerdestruktur über das offizielle Ende des Projekts hinaus ermöglicht. Eine umfassendere Mitteilung wird im ersten Quartal 2025 folgen.
Während alle teilnehmenden BNT-Mitglieder, Fair Wear und das BNT-Sekretariat über die Erfolge der Initiative reflektieren, sollen die gewonnenen Erkenntnisse in künftige Projekte einfließen und dazu beitragen, die verschiedenen Branchenansätze anzugleichen und den Zugang zu wirksamer Abhilfe für Arbeiter*innen weltweit zu erweitern. Die Errungenschaften dieser Partnerschaft unterstreichen das Potenzial für transformative Veränderungen, wenn Organisationen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten.